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Später wusch Dewey ein
paar von den schmutzigen Klamotten Krolls, und Kroll kriegte
sich fast nicht vor Dankbarkeit. Er betonte immer wieder,
was für ein anständiger Kerl Dewey doch sei, und
Dewey ließ es über sich ergehen.
Oswald Kroll schlief zwischendurch
immer wieder ein. Es traf sich auch, daß Kroll bei Einbruch
der Dunkelheit eben wieder eingenickt war. Dies war der Zeitpunkt,
zu dem Cal Dewey einen leicht feuchten Lappen mit Chloroform
tränkte. Sofort verbreitete sich ein Geruch wie in einer
altertümlichen Arztpraxis, so daß Dewey ein Fenster
öffnete, bevor er sich Kroll näherte.
Kroll lag friedlich auf dem
Dett. Im Schlaf schien er keine Schmerzen zu haben. Cal Dewey
wollte ihm einen sanften Tod bereiten. Es würde eine
Erlösung werden, für den armen Kroll.
Dewey hielt ihm den chloroformgetränkten
Lappen vor Mund und Nase. Zunächst atmete Kroll für
einen Moment ganz normal weiter. Dann schien er jedoch unverständlicherweise
aus dem Schlaf zu erwachen. Zumindest bewegte er sich unruhig.
Dewey umklammerte deshalb Krolls Kopf und preßte das
Tuch vor Krolls Gesicht - worauf Kroll die Augen öffnete.
Kroll schaute Dewey für
einen Moment mit ängstlichem Hundeblick an. Er versuchte,
sich aus der Umklammerung zu lösen, und er wandte alle
Kraft auf, die ihm noch zur Verfügung stand. Dewey dachte:
"Warum wirkt das Scheißzeug nicht endlich. Der
sollte doch schon längst bewußtlos sein."
Aber Dewey hatte, abgesehen davon, was er in Filmen gesehen
hatte, keine Erfahrung mit Chloroform.
Und so wehrte sich Kroll für
viele Sekunden, die Dewey endlos vorkamen. Doch Kroll war
zu schwach, um sich aus Deweys Griff zu befreien.
"Wehr dich doch nicht,"
sagte Dewey, "du bereitest dir nur unnötige Schmerzen."
Aber Kroll wollte nicht hören. Er zerrte an Deweys Armen
und er strampelte mit den Beinen. Dewey mußte nun selbst
all seine Kraft gebrauchen, um Kroll festzuhalten. Er wußte
selbst nicht mehr, ob er drauf und dran war, Kroll zu erwürgen,
oder ob es immer noch nur ein Versuch war, sein Opfer zu betäuben.
Dewey wollte es aufrichtig vermeiden, Kroll weh zu tun, aber
nun wehrte und wehrte sich dieser, und Dewey hatte gar keine
andere Wahl mehr als zuzudrücken.
Warum wollte sich dieser Kroll
auch gegen sein Schicksal stemmen? Er konnte ihm doch nicht
mehr entgehen, und alles, was er mit seinem Todeskampf bewirkte,
war Leid für sich selbst. Dewey hatte die ehrliche Absicht
gehabt, es seinem Opfer leicht zu machen, aber dieses Opfer
machte jetzt nur Dummheiten, strampelte und zerrte wie ein
Verrückter. Der Tod war doch sowieso nicht zu umgehen.
Warum wollte dieser dumme Oswald Kroll das nicht einsehen.
Mußte man nicht froh sein, wenn man das Sterben hinter
sich gebracht hatte? Da dreht man doch nicht auf halben Wege
wieder um.
Und was hatte dieser Kroll überhaupt
von seinem Leben? Seit Wochen hing er völlig geschwächt
herum, vegetierte vor sich hin und interessierte sich nicht
einmal mehr für Weiber.
"Mach doch keine Dummheiten,"
sagte Dewey. "Ich will dir ja nicht wehtun; sieh das
doch ein. Du hast ja selbst gesagt, ich sei dein Freund. Stell
dich nicht so an."
Krolls Gesicht war blutunterlaufen.
Er hatte einen trüben Blick; Tränen liefen ihm über
das Gesicht. Und dann plötzlich verließen ihn die
Kräfte und er sackte in sich zusammen.
Zunächst dachte Dewey,
daß Kroll vielleicht simulierte, damit Dewey seinen
Griff lockere. Gemeinheiten dieser Art waren Kroll durchaus
zuzutrauen. Dewey hielt ihn deshalb weiter fest und preßte
ihm nach wie vor das chloroformgetränkte Tuch auf Mund
und Nase. Das mochte wohl eine Minute oder sogar zwei andauern,
und dann war Dewey endlich davon überzeugt, daß
Kroll zumindest bewußtlos war. Er ließ von Kroll
ab, blieb aber noch einen Moment auf dem Bettrand sitzen.
Dann stieg ihm der Chloroformgeruch
in die Nase, und es kamen ihm Bedenken, es könnte wegen
des Geruchs einer der Hotelgäste Verdacht schöpfen.
Das Chloroform stank wirklich fürchterlich - wie fürchterlich,
fiel ihm erst jetzt auf. Er ging deshalb ins Bad und wusch
den Lappen gründlich aus, und dann öffnete er ein
weiteres Fenster.
Stimmengewirr kam durch die
offenen Fenster ins Zimmer, und Dewey schaute heraus und überzeugte
sich, daß es nichts mit ihm und den Vorfällen in
seinem Zimmer zu tun hatte.
Schließlich schleppte
Dewey Krolls bewußtlosen Körper ins Bad. Der Körper
war schlaff und weich. Dewey zog ihn an den Armen, und Krolls
Kopf fiel in den Nacken. Dewey hatte kaum das Bad erreicht,
als sich Krolls Körper entleerte. Der Kot war weich und
ungeformt, und er schien zu quellen. Der Urin lief die Schenkel
hinunter und es entstand eine Pfütze.
Dewey lehnte die Körpermasse
an das WC. Krolls Mund war offen, und Dewey sah, daß
Kroll sich erbrach. Halbverdautes lief über die Lippen,
und es war Reis und es waren Bohnen zu erkennen. Es war elend
und erbärmlich.
Dewey fühlte sich außerhalb
seiner selbst. Handelte er, oder war er Beobachter? Dieser
Gestank war widerwärtig. Er blickte auf Kroll, und es
kamen ihm Tränen. Er hatte Mitleid mit Kroll. "Das
sind menschliche Regungen," dachte er. "So funktioniert
ein Mensch," erkannte er, "er hat Mitleid. Auch
ich habe Mitleid. Ist das eine Schwäche? Ist das vernünftig?"
Dewey ging ins Zimmer zurück
und holte das Messer, das er am frühen Nachmittag gekauft
hatte. Krolls Körper war herabgerutscht und lag auf dem
Boden. Dewey fühlte Hitze in sich. Er faßte sich
an die Stirn und dann an den Hals, aber er war in diesem Moment
schon bei anderen Gedanken. Er fragte sich: "Kann ich
noch zurück?" Vielleicht würde Kroll am Morgen
aufwachen und sich an nichts erinnern, und es würde sich
alles vertuschen lassen.
Aber vielleicht war Kroll auch
schon an Deweys Griff oder an seinem eigenen Erbrochen erstickt.
Natürlich konnte man einen Mord begehen, dachte Dewey.
Der Tod ist alltäglich. Nach dem eigenen Tod würde
es keinen Unterschied mehr machen, ob man einen Mord begangen
hat oder nicht. Und wenn man tausend Morde begangen hätte.
Mit dem Tod eines Menschen war jede Schuld aus der Welt.
Wieviele Jahre hatte er selbst
noch zu leben, dachte Dewey. Dreißig, fünfunddreißig,
wenn alles gut geht. "Der Tod ist etwas Endgültiges,"
dachte er, "gleich ob man ein guter oder ein schlechter
Mensch war." Ob man einen Mord begangen hat oder nicht,
war unwichtig.
"Es ist unwichtig,"
schrie es in ihm, "unwichtig, unwichtig, unwichtig."
Dann umklammerte er das Messer und stieß es Kroll in
den Hals. Dewey hatte nur wenig Kraft, es gab nur eine kleine
Wunde. Er nahm das Messer zurück, und es geschah nichts.
Nichts geschah, und wieder verstrichen lange Sekunden. Und
dann kam das Blut. Er schaute hin. Es quoll sehr, sehr langsam
heraus, und es schien gar nicht sehr flüssig zu sein.
Das Blut breitete sich auf den
Kacheln des Bodens aus und vermischte sich mit Kot und Urin.
Es war viel weniger Blut als Dewey erwartet hatte. Vielleicht
war er schon tot, erstickt am eigenen Erbrochenen.
"Er ist tot," dachte
Dewey, "nun ist er tot, ich habe einen Menschen umgebracht.
Er ist tot."
Dewey fühlte sich plötzlich
sehr beschwingt. "Verdammt," dachte er, "man
kennt die eigenen Gefühle nicht." Jetzt war er beschwingt.
Er traf sich selbst im Spiegel. "Es ist nichts dabei,"
sagte er zu seinem Gegenüber.
Sein Spiegelbild sah verschwitzt
aus, nun ja. Er schaute es an und sagte: "Machen wir
uns ans Aufräumen."
Die Leiche mußte verschwinden.
Sie mußte zerkleinert werden und durch den Abort, wenigstens
diese weiche stinkende Masse, das Fleisch - es mußte
durch den Abort. Die Knochen und die Kleidungstücke würde
er am Vormittag auf die verschiedensten Müllkübel
der Stadt verteilen und den Schädel in einem Sack, mit
einem Stein beschwert, in einem Tümpel versenken. Es
würde nichts zu identifizieren sein.
Doch zuerst mußte das
Fleisch durch den Abort, denn es würde faulen und stinken.
Dewey arbeitete die ganze Nacht. Immer wieder formulierte
sich in seinem Kopf der Gedanke: "Ein Mörder, nun
ja."
Als es draußen dämmerte,
war Krolls Leiche, bis auf die Knochen, verschwunden. Deweys
Gegenüber im Spiegel sah übernächtigt aus.
"Ein Mörder, nun ja."
Er legte sich zu Bett und schlief schnell ein.
Ein Mord
Der Umzug hatte Kroll so geschwächt,
daß sie auf den ursprünglich vorgesehenen Besuch
beim Arzt am Nachmittag verzichten mußten. Kroll legte
sich hin, und er blieb im Bett bis zum Abend. Dewey brachte
ihm am frühen Nachmittag, nachdem er selbst in einem
Restaurant verspätet zu Mittag gegessen hatte, Reis und
Bohnen - Schonkost.