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Die Zelle
Die Zelle war ein schlimmes
Erlebnis. Da war er nun eingeschlossen in einen Käfig
voller Gestank, Ungeziefer und düsterer Gesellen. Es
war stickig heiß und es gab an der Rückwand nur
ein schmales Fensterband unter der Decke. Von vorne konnte
man aus der Pavillon-Halle betrachtet werden, als sei man
in einem Zoo ausgestellt.
Dieser Käfig war mit sechs doppelstöckigen Pritschen möbliert und er wurde, als Dewey dazukam, von fünf Leuten behaust. Natürlich wurde er freundlich begrüßt. So ein Tourist als Knastbruder, das war ja schließlich eine Abwechslung. "Hallo, mein Freund." rief ihm ein Kerl von einer oberen Pritsche zu. Er hatte ein Gesicht, das glatt wirkte, obwohl er ungewaschen war. Er stieg von seinem Lager herunter und kam in geduckter Haltung auf Dewey zu.
"Eine Katze," dachte Dewey, "ganz klar."
Die Katze schüttelte ihm die Hand. "Ich heiße Rico. Willkommen in unserer Gemeinschaft," sagte er.
Dewey mußte wohl oder übel seinen Namen nennen. "Ich heiße Cal."
Und dann stellte ihm dieser Schalk Rico das Kabinett der Schufte vor. "Dieser hier ist Manuel. Wir nennen ihn Manni," sagte Rico und deutete auf einen Burschen, der auf einer unteren Pritsche am Eingang hockte. Manuel lachelte Dewey weinerlich zu.
"Und diese zwei sind Christoto und Camillo." Das waren zwei gefährlich aussehende Typen auf oberen Liegen. Christoto war sehr unrasiert und er hatte schütteres Haar, das nicht philippinisch schwarz, sondern dunkelbraun war. Camillo war eine hagere Gestalt in einem völlig zerschlissenem Unterhemd.
"Der da oben ist Tibor," sagte Rico. Tibor lachte ihn an. Dewey mußte trotz seiner mißlichen Lage zurücklachen, denn Tibor fehlten alle vorderen Zähne. Tibor war wohl der Jüngste in der Zelle.
Dewey setzte sich auf eine untere Pritsche.
Rico fragte: "Du hast doch sicher Zigaretten?"
"Ich bin eigentlich Nichtraucher," sagte Dewey.
"Na, aber du hast doch sicher Geld, um ein paar Zigaretten zu kaufen?"
"Wo gibt es hier denn Zigaretten?" fragte Dewey.
"Ich erledige das schon. Gib mir zehn Peso."
Rico stand am Gitter und er versuchte mit Zischlauten, Leute auf sich aufmerksam zu machen. Am besten war es, Besucher zu beauftragen. Es kam aber ein Polizist (in Zivil natürlich) ans Gitter und der fragte, was denn los sei. Rico bat ihn, doch ein paar Zigaretten vor der Station zu kaufen und tatsächlich nahm der Polizist die zehn Peso und er brachte eine Schachtel Zigaretten aus der er sich allerdings zuerst einmal großzügig selbst bediente.
Dieser Polizist war sicher sehr beschäftigt, denn er vergaß auch, das Wechselgeld zurückzugeben. Nun ja. Rico nahm also die Zigaretten in Empfang und er zündete sich gleich eine an. Dann offerierte er ganz frech auch Dewey eine Zigarette. Der nächste war Tibor, und nachdem sie protestiert hatten, bekamen auch Christoto und Camillo Zigaretten.
"Heh, und was ist mit mir?" fragte Manuel.
"Du bist doch Nichtraucher," rief ihm Rico zu.
Da konnte Manuel nur weinerlich lachen. Es bedurfte Deweys Einspruch, damit auch Manuel seine Zigarette bekam. Den Rest der Packung behielt Rico in Verwahrung.
Dann mußte Dewey von Europa erzählen. Hauptsächlich Rico fragte ihn Löcher in den Bauch.
Eine betrübliche Erfahrung noch konnte Dewey sich an diesem Spätnachmittag nicht ersparen. Er hatte zwar volles Verständnis dafür, daß es in einer Gefängniszelle nicht zugehen konnte wie in einem Hotel. Die Latrine aber war die reinste Schikane. Das war nur eine Stellwand aus Sperrholz und dahinter standen zwei Plastikeimer. Der eine war halb gefüllt mit Wasser, auf dem eine Blechdose schwamm, und der andere hatte einen Deckel.
Der erste, der in Deweys Anwesenheit diese Latrine aufsuchte, war Camillo. Er verschwand hinter der Sperrholzwand, und kaum hatte er den Deckel gelüpft, verbreitete sich auch schon ein ziemlich unangenehmer Geruch in der Zelle. Dann hörte man es plätschern, und Camillo pfiff dabei eine Melodie.
Unglücklicherweise konnte es auch Dewey sich nicht mehr viel länger verhalten. Er begab sich also hinter diese Sperrholzwand, und er hob den Deckel vom Eimer, und es lachte ihn höhnisch eine gelb-braune Soße von Kot und Urin an. Dewey war so schockiert, daß er den Blick nicht abwenden konnte. Es kostete ihn echte Überwindung, seinen Urin diesem Brei beizugeben.
Dann war es Manuel, der eine größere Angelegenheit hinter der Sperrholzwand zu erledigen hatte.
"Oh nein," stöhnte Rico. "Kannst du das nicht noch eine Weile verschieben?"
Manuel zuckte die Achseln und lachelte weinerlich. "Was sein muß, muß sein." Manuel nahm also wieder den Deckel ab, und er setzte sich wohl auf diesen Eimer. Man hörte ihn pressen, und dann gab es einen nassen Furz, und es klatschte etwas in den Brei. Es dauerte eine kleine Weile und dann klatschte es noch einmal. Es war wirklich ein schlimmer Duft. Man hörte auch, wie Manuel sich den Arsch mit Wasser wusch. Schließlich kam er hinter der Sperrholzwand hervor. Er lachte weinerlich.
Nach Einbruch der Dunkelheit brachte ein Polizist, der ganz gutmütig aussah, das Abendessen. Es war Reis und Mais gemischt, und dazu gab es ein fad aussehendes Blattgemüse. Seine Kollegen verschlangen alle gute Portionen; Dewey aber wollte das Zeug nicht anrühren. Er trank lediglich von dem Wasser, das in einem kleinen Kanister gebracht worden war, und das sehr schlecht nach Plastik schmeckte.
Manni war es dann, der für ein paar Minuten in Begleitung des Polizisten die Zelle verlassen durfte - allerdings nur um den Plastikkübel zu leeren.
Nach Einbruch der Dunkelheit kamen auch die Mücken. Es waren lahme Viecher und sie ließen sich totschlagen, ohne einen Fluchtversuch zu unternehmen. Aber man mußte eben wach sein, wollte man sich gegen sie wehren. Schlafend war man ihnen ausgeliefert.
Das Licht wurde in der Zelle nicht ausgemacht, die ganze Nacht nicht, und es zog allerhand Motten und Käfer an, die sich brummend auf die Glühlampe stürzten. Sie mußten das Licht wohl für Erleuchtung halten. Der Schein der Erkenntnis kostete sie das Leben.
Manuel hatte es mit anderen Haustieren zu tun. Er saß auf seiner Pritsche und zog sich Läuse aus den Haaren. Es war wohl eine beruhigende Tatigkeit, und er war ganz in sie versunken. Dann durchzuckte es ihn aber plötzlich und es kniff ihn etwas unter der Achselhöhle. Das nächste Mal war es im Nacken.
Es war schon nach neun Uhr, als Rico sich vertrauensselig Dewey näherte: "Beim Schlafen mußt du aufpassen hier," sagte Rico. "Das sind ganz krumme Burschen." Dabei schaute er verstohlen von der einen Ecke der Zelle zur anderen. "Es wird dir hier alles gestohlen."
"Danke für die Warnung," sagte Dewey.
"Besonders mußt du auf Christoto und Camillo achtgeben," sagte Rico. "Ganz geübte Diebe," murmelte er hinterher.
"Ja danke. Ich werde aufpassen."
Und dann, nach einer Pause, sagte Rico: "Also, wenn du ganz sicher gehen willst. Ich kann dein Geld und deine Wertsachen bis morgen früh in Verwahrung nehmen. An mich trauen sie sich nicht heran.
"Ach ja? Danke, ist glaube ich nicht nötig. Ich werde schon selbst aufpassen."
Sie schliefen einer nach dem anderen ein. Manuel und Christoto schnarchten. Camillo stand gegen Mitternacht einmal auf. Er verschwand hinter der Sperrholzwand und machte dort ein paar schnelle Handbewegungen.
Dewey schlief spät ein, hauptsächlich der Mücken wegen. Er schlief auch nicht an einem Stück durch. Einmal wachte er auf, weil er ein Kitzeln in der Lendengegend verspürte. Er öffnete die Augen, und siehe da, neben ihm stand Rico, der ihm mit der Hand in die Hosentasche gefahren war.
"Heh, heh," sagte Dewey schlaftrunken.
Rico grinste ihn an. Er sagte: "Ach, ich wollte dir nur beweisen, daß man dich im Schlaf bestehlen kann. Aber du hast meine Warnung tatsächlich ernst genommen. Es sollte ja nur ein freundschaftlicher Scherz sein," sagte Rico, grinste und ging in seinem gebückten Gang zurück zu seiner Pritsche.
Dewey packte sich Geld und Armbanduhr daraufhin in die Unterhose.
Am nächsten Morgen knurrte ihm ordentlich der Magen. Als ein Polizist wieder nur dieses Schweinefutter aus Reis, Mais und laschem Blattgemüse brachte, drückte er dem Beamten 50 Peso in die Hand und ließ sich zwei Omeletts aus einem Restaurant holen. Die kosteten vielleicht 30 Peso. Es gab aber wieder kein Wechselgeld zurück.
Ein Omelett und ein halbes aß er selber, und dabei fielen den Knastbrüdern fast die Augen aus dem Höhlen. Sie wurden ganz schweigsam und schauten andächtig. Manuel kaute jeden Bissen mit.
Ein halbes Omelett sollten sich die fünf teilen. Rico riß es sich aber sofort unter den Nagel, und er gab nur Christoto einen Happen ab, als der ihm mit drohenden Fausten auf den Leib rückte. Tibor, Camillo und Manuel gingen leer aus. Manuel kaute noch gedankenverloren Deweys letzten Bissen mit, da hatten Rico und Christoto das halbe Omelett schon verschlungen.