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Ein Mann mit einem großen
Korb rief immer wieder Ballut und er dehnte das U
so lange, wie ihm die Luft reichte. Balluuuuuuuuut.
Er verkaufte angebrütete Enteneier, dieses philippinische
Wundermittel. Von den Entenembryos verspricht man sich eine
Steigerung der Potenz. Der gewöhnliche Filipino wird
Ballut essen, wenn er seinen Samen bei einer Prostituierten
verschossen hat und zwecks Alibi noch am selben Tag bei seiner
Alten aufhocken muß.
Es war der 24. November 1983,
und es war ein später Nachmittag, als Cal Dewey, mit
der MV Don Vincente der Negros Navigation von
Iloilo kommend, in Banago Wharf anlegte. Es war ein
sonniger Tag gewesen, aber nicht sehr warm. Es war jetzt,
nach den Monsunregen, die angenehmste Jahreszeit auf den Philippinen.
Von der See her wehte ein leichter Wind, und es lag ein Geruch
von Fisch in der Luft. Die Sonne stand tief, und die Leute,
die Dewey begegneten, während er den Pier vormarschierte,
hatten den Wind und die Sonnenstrahlen im Gesicht. Manche
hatten zusammengekniffene Augen und andere hielten sich als
Schirm eine Hand vor die Stirn.
Die Jepneys warteten am Ufer.
Fast alle fuhren nach Central. Es waren rund zehn Kilometer
nach Bacolod hinein. Dewey zwängte sich in den Jeepney,
der schon am vollsten war. In ein Fahrzeug mit vielen freien
Plätzen einzusteigen, wäre Blödsinn gewesen.
Es würde dieses nicht abfahren, bevor er nicht auch mit
16 oder 17 oder 18 Leuten vollgepackt war.
Auf der Strecke nach Central
stoppte der Jeepney oft, und er fuhr Umwege, um hier und
dort Passagiere aussteigen zu lassen. Es dauerte eine gute
Stunde, bis sie im Zentrum waren. Dewey stieg als letzter
Fahrgast aus.
Bacolod hatte über 300.000
Einwohner und war trotzdem keine richtige Stadt. Von Banago
Wharf her wirkte es am ehesten wie eine dichte Ansammlung
von Dörfern - in geringem Abstand zueinander zwar, aber
doch mit Reisfeldern dazwischen. In diesen Dörfern war
die Bebauung eng und bestand überwiegend aus schilfgedeckten
Bambushütten.
Das Zentrum war kümmerlich.
Es gab die viel zu große City Plaza und am Rand
dieses Stadtparks, mit viel Abstand zueinander, die einzigen
dreistöckigen Gebäude der Stadt: das Rathaus, in
weiß, und mit der obligatorischen Statue des Nationalhelden
Rizal auf einem hohen Podest; das Gebäude der
Nationalbank; ein Kino mit fensterlosen Außenmauern,
deren Putz schwarzgrau war.
Dieses sogenannte Stadtzentrum
grenzte nur mit drei Seiten an die Stadt - mit der vierten
lag es am Wasser. Das Meeresufer war flach und auf schwarzgrauem
Sand war Müll verstreut. Es erhoben sich am Strand etliche
Schutthaufen, und dazwischen verrotteten die Wracks von Fischerbooten.
Die Schutthaufen waren die Anfänge eines Landgewinnungs-Projektes,
und das ganze firmierte als City of the Future.
Bis zur Zukunft war es offenbar
noch lange hin.
Das erste Hotel, das Dewey sich
anschaute, war das Sea Breeze. Es könnte in besseren
Zeiten ein Kurhotel gewesen sein, und es hatte seinen Namen,
weil es an dem schmutzigen Strand lag, auf dem in ferner Zeit
einmal die Stadt der Zukunft enstehen sollte, und weil
es dort recht zugig war. Es war ein alter Bau, und er war,
vielleicht mangels Gäste, nicht sonderlich gut in Schuß.
Dewey verzichtete darauf, sich
zu den Preisen, die verlangt wurden, ein Zimmer zu mieten.
Es war leicht, billigere Hotels zu finden. Da gab es zum Beispiel
das Las Rocas und das Bascon I. Die Zimmer waren
klein und muffig, und sie kosteten zwar weniger als die Hälfte
dessen, was im Sea Breeze hingelegt werden mußte,
aber sie waren ihr Geld auch nicht wert.
Es nahte schon die Dunkelheit,
als Dewey bei der Florentine Lodge ankam. Er ging ein
halbes Stockwerk hinauf zur Rezeption, und dort stand er dann,
mutterseelenallein.
"Hallo," rief Dewey.
"Hallo, ist da niemand?"
Es war niemand da. Dewey rief
noch einmal nach niemand, und er wollte sich schon zum Gehen
wenden, als eine Frau um die Dreißig erschien, mit verschwitztem
Gesicht und ungekämmten Haaren. Sie kam vom Wäschewaschen,
schloß Dewey aus der Tatsache, daß die Ärmel
ihrer Bluse hochgekrempelt und ihre Arme naß waren.
"Haben Sie Zimmer frei?"
fragte Dewey.
"Warten Sie," sagte
das Waschweib, und dann verschwand sie in einem Hausflur.
Nun war sie es, die rief. Sie rief nach ihrem Vater, und es
dauerte wieder eine ganze Weile, bis der Herr des Hauses sich
in die Rezeption bemühte. Es war ein hagerer Mann in
einem zerschlissenen, schmutzigen Unterhemd.
"Sie möchten ein Zimmer,
mein Freund?" fragte dieser, und dann verschluckte er
sich an seiner falschen Freundlichkeit. Er hustete und hustete,
und dann spuckte er in einen großen Blumentopf, der
auf dem Boden stand, und aus dem ein einziger verdorrter Zweig
ragte. Dewey ließ sich ein paar Zimmer zeigen, auf verschiedenen
Stockwerken, und sie waren alle ungefähr gleich - gleich
schlecht.
Die Zimmer waren dunkel, weil
die Fenster nur Luken waren, und wenn der Hotelbesitzer das
Licht anschaltete, huschten kleine Mäuslein und fette
Kakerlaken unters Bett, in den Schrank und in die Ritzen der
Wände. Die Matratzen waren nicht bezogen, und es waren
unappetittliche Flecken drauf. Man konnte sich selbst mit
dem Gedanken beruhigen, daß möglicherweise nur
Kaffee verkippt worden war, aber mit ziemlicher Sicherheit
waren es andere Sachen.
Für den Hotelbesitzer,
der sein eigener Roomboy war, war dies alles so normal, daß
er sich nichts mehr dabei dachte. Er hatte auch keine Hemmungen,
sich verdächtig zu machen, indem er fast alle Zimmer
vorzeigte. Er dachte nicht daran, das Dewey sich fragen mußte,
warum das Hotel offenbar leerstand.
Dann fragte der Besitzer ganz
selbstbewußt: "Welches Zimmer nehmen Sie, mein
Freund?"
Dewey nahm das Zimmer 16, trotz
allem. Es war Abend geworden, und er wollte nicht weiter mit
seinem Gepäck herumrennen, und er bezweifelte inzwischen,
daß es in Bacolod überhaupt anständige Zimmer
zu vernünftigen Preisen gab.
Später am Abend ging Dewey
in der Nähe des Hotels spazieren. Er kam auch zu einer
Gasse, die Chicken Street hieß. Dort gab es etwa
zehn Budenrestaurants, und die hatten mit ihren Tischen und
Stühlen die ganze Gasse vollgestellt, so daß nur
ein schmaler Durchgang blieb. An diesem schmalen Durchgang
wetteiferten die jeweils schönsten der Serviertöchter
um jeden Gast. Sie riefen von weitem "Hey Sir, Sir, kommen
Sie herein, bitte."
Und während sie mit der
einen Hand einen Passanten herbeiwinkten, deuteten sie mit
der anderen auf die vielen freien Sitzplätze. Hatte der
Gast dann erst einmal seine Bestellung aufgegeben, war besondere
Freundlichkeit nicht mehr nötig.
In einem dieser Restaurants
aß Dewey einen zähen Hühnerschlegel, und es
belästigte ihn der Rauch vom Holzgrill des Restaurants
nebenan. Noch während er dort saß, fiel der Strom
aus. Überall auf der Welt hieß das Blackout,
nur auf den Philippinen nannte man es Brownout. Das
war eindeutig Verharmlosungsmentalität.
Tatsächlich schien der
Stromausfall den Leuten jedoch gar nicht so schlimm. Der Strom
fiel regelmäßig aus, und man hatte, weiß
Gott, genug Gelegenheit, sich daran zu gewöhnen. Und
schließlich war manchmal Strom immer noch besser als
nie Strom.
Dewey saß nicht lang im
Dunkeln. Ein fettes Weib mit einem enormen Hängebusen
brachte Petroleumlampen, und sie stellte eine auf Deweys Tisch.
Das gelbe Petroleumlicht war gemütlicher als das bläuliche
Neonlicht vorher, und Dewey wäre wohl noch eine Weile
sitzengeblieben, wenn nicht die Grillöfen die ganze Gasse
in eine Räucherkammer verwandelt hätten.
So machte er sich also auf den
Weg, trotz Dunkelheit die Stadt weiter zu erkunden. Er bog
in die Locsin Street ein, weil auch dort viele Petroleumfunzeln
brannten. In dieser Straße gab es einen Bierschuppen
neben dem anderen. Es waren baufällige Bretterhäuser,
und die Straße hatte tiefe Schlaglöcher, in denen
das Wasser stand.
Die Weiber saßen im Schein
der Funzeln auf einfachen Holzbänken und überboten
sich gegenseitig mit Einladungen an Dewey. Dewey schaute in
den einen oder anderen Laden herein; es gab kaum einen Unterschied.
Stets war es ein spärlich möbliertes Zimmer, fast
unbeleuchtet, und es schäpperte ein Kassettenrecorder
populäre Musik.
Jeder dieser Bierschuppen verfügte
über einen sogenannten VIP-Room. Dies war eine
Art Séparée, ein Bretterverschlag, hinter den
man sich mit einer der Angestellten zurückziehen konnte,
um zu einem etwas teureren Preis zu zechen... und zu fummeln.
Es war stickig schwül in diesen abgeteilten Zimmerchen,
und man würde nach zehn Minuten völlig verschwitzt
sein, selbst wenn man nur brav nebeneinander gesessen wäre.
Dewey verzichtete auf das Vergnügen.
Ohnehin waren die Weiber nur dritte Wahl, wenn nicht überhaupt
Ausschuß.
Dewey ging noch ein Stück
weiter die Loscin Street hinunter. Er kam an einem Lastwagen
vorbei, der am Straßenrand parkte. Nur das Chassis schien
Original zu sein, während Ladefläche und Karosserie
aus Holz waren, offenbar vor Ort gezimmert. Das Führerhaus
hatte keine Tür, und es fehlte die Windschutzscheibe.
Auf der anderen Straßenseite
lagen die letzten der Bierschuppen. Hier brannte an einem
kleinen Balkon eine Drucklampe, und sie warf einen helleren
Schein als zehn Petroleumfunzeln es vermocht hätten.
Dewey ging an dem alten Lastwagen vorbei, und er wollte gerade
umdrehen, als er neben einem der Räder ein Mädchen
hocken sah.
Sie dürfte etwa 25 gewesen
sein, und sie trug einen gelben Rock und ein rotes T-Shirt.
Sie hockte neben dem Rad, den Rock in den Hüften und
den Schlüpfer in den Kniekehlen, und verrichtete ihre
Notdurft. Es störte sie nicht, daß Dewey sie im
Blick hatte.
"Heh, warte," rief
sie ihm zu, "nimm mich mit; ich komm mit dir."
Da er nun angesprochen war,
hatte Dewey keine Veranlassung, sich abzuwenden.
"Dann mußt du dich
aber beeilen," sagte er, weil ihm besseres nicht einfiel.
Offenbar nahm sie sich diese
Mahnung zu Herzen, denn nun spritzte zwischen ihren Beinen
ein satter Strahl hervor.
"Wie heißt du denn?"
fragte Dewey.
"Mein Name ist Clair,"
sagte sie.
Weil sie so schön pißte,
überlegte sich Dewey für einen Augenblick, ob er
sie mitnehmen sollte. Aber dann stand sie auf, und an den
Bewegungen, mit denen sie sich den Schlüpfer hochzog,
merkte Dewey, daß sie ziemlich betrunken war. Auch hatte
sie zu stämmige Beine.
"Morgen," sagte Dewey,
"morgen, wenn du nicht betrunken bist, morgen nehme ich
dich mit."
Bacolod
Der Pier von Banago Wharf
reichte gut zwei Kilometer ins seichte Wasser. Er war
schmal, gerade breit genug für einen Lastwagen. Am Kopf
des Piers, wo die Schiffe anlegen, ragten dicke Holzstämme
in die Luft. Auf halber Strecke zum Ufer klebten dreißig,
vierzig Buden an dem Landungssteg. Sie lagen mit der Vorderseite
auf dem Pier und standen mit der Rückseite auf Stelzen
im Wasser. An diesen Buden wurden schlecht gekühlte Limonaden
verkauft, und Brot, das von der Maisbeimischung ganz gelb
war. Auf Holzkohle wurden Schenkel magerer Hühner gegrillt,
bis sie ganz zäh und trocken waren.